Eine Klapperschlange am Capitol: Was steckt hinter der Flagge der Randalierer? | NZZ (2024)

Die gelbe Flagge mit der Klapperschlange kam an den Ausschreitungen am und im Capitol prominent zum Einsatz. Die Trump-Anhänger haben sich eines Symbols bemächtigt, mit dem die Gründerväter der USA gegen die britischen Unterdrücker ins Feld gezogen waren.

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Das ist passiert: An der Kundgebung von Trump war sie allgegenwärtig, die gelbe Flagge mit der Klapperschlange und dem Slogan «Don’t tread on me», was übersetzt etwa «Treten Sie nicht auf mich» heisst. Neu ist diese Flagge nicht, vielmehr erlebt sie seit einem Jahrzehnt ein Comeback, das mit dem Aufstieg der Tea-Party-Bewegung begonnen hat. Diese konservative Strömung plädiert für niedrige Steuern, Patriotismus und das uneingeschränkte Recht auf Waffenbesitz, bei dem sie sich auf den zweiten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung stützt. Jüngst war die Flagge auch an Protesten gegen die Corona-Massnahmen zu sehen.

Darum geht es: Der Ursprung der Flagge geht viel weiter zurück, nämlich auf die Zeit der amerikanischen Revolution. Einer der Gründerväter der USA, Benjamin Franklin, hatte 1751 einen satirischen Artikel mit einer Klapperschlange illustriert, die aus dreizehn Teilen bestand – den damals dreizehn Kolonien und nachmaligen ersten Gliedstaaten. In dem Text hatte Franklin vorgeschlagen, Klapperschlangen nach England zu verschiffen und den dortigen Politikern und Nobilitäten in die Gärten zu setzen. Die Klapperschlange sah Franklin als Symbol für «wahren Mut», weil sie sich erst wehrt, wenn man sie reizt, und weil sie nie aufgibt.

Von Franklin liess sich möglicherweise der Kaufmann und Plantagenbesitzer Christopher Gadsden inspirieren. Auch er mischte in der Revolution kräftig mit und war Oberst in der Kontinentalarmee, die gegen die Briten kämpfte. Gadsden liess für den ersten Oberbefehlshaber der Marine und auch für das Parlament seines Gliedstaates South Carolina eine Standarte mit dem Klapperschlangen-Symbol herstellen. Seither trägt die Flagge seinen Namen.

Gadsden selbst soll auf seinen beiden Reisfarmen neunzig Sklaven gehalten haben. Zudem baute er die nach ihm benannte Gadsden-Werft. Oft ist in amerikanischen Medien zu lesen, dass im Übergang vom 18. zum 19.Jahrhundert ein Grossteil der Schiffe mit afrikanischen Sklaven dort angelegt habe. Doch eine Rolle spielte die Werft im Sklavenhandel erst nach Gadsdens Tod, wie der Historiker Nic Butler unlängst herausfand. Gadsden lehnte die Sklaverei im Prinzip ab, mochte als Plantagenbesitzer aber doch nicht auf Sklaven verzichten.

Für Aufsehen sorgte 2016 eine Auseinandersetzung zwischen der US-Post und einem ihrer Angestellten. Der Afroamerikaner fühlte sich am Arbeitsplatz durch einen Arbeitskollegen belästigt, der eine Mütze mit der Gadsden-Flagge trug. Schliesslich sei Gadsden ein Sklavenbesitzer und -händler gewesen. Abgesehen davon, dass der zweite Vorwurf nicht zutreffen dürfte, hat die Flagge historisch gesehen mit Rassismus und Sklaverei nichts zu tun, sondern mit dem Widerstand gegen die Kolonialmacht.

Eine Regierungskommission forderte die US-Post trotzdem dazu auf, die näheren Umstände abzuklären, da die Flagge heutzutage rassistisch gefärbte Botschaften transportieren könne. Verwiesen wurde etwa auf die Ermordung zweier Polizisten 2014 in Las Vegas durch Rechtsextremisten. Auf eine der Leichen hatten sie eine Gadsden-Flagge gelegt.

Das meinen wir: Die Klapperschlangen-Fahne ist für libertäre Kreise ein Symbol gegen zu viel staatlichen Einfluss, zu hohe Steuern oder die Einschränkung von Freiheitsrechten. An der Erstürmung des Capitols waren jedoch zu einem guten Teil rechtsextreme Gruppen (etwa Mitglieder der Proud Boys) und Anhänger abstruser Verschwörungstheorien (QAnon) beteiligt.

Die Gründerväter der USA hatten für Freiheit und Unabhängigkeit gekämpft. Die Randalierer vom Capitol dagegen versuchten die Zertifizierung einer rechtmässig erfolgten, demokratischen Wahl zu verhindern. Die Verfassungsväter dürften sich im Grab umdrehen, wenn sie wüssten, wie ihre Symbole heutzutage von extremistischen Gruppen missbraucht werden. Für stark freiheitlich gesinnte Amerikaner ist das ein Dilemma: Die Klapperschlange und der Schriftzug «Don’t tread on me» senden zwar ein starkes Signal, aber wer will schon mit Vandalen, Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten in Verbindung gebracht werden?

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Andreas Rüesch

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